Ich bin auf dem richtigen Weg: Wie glücklich uns flüchtige Bekanntschaften machen.

(Europa und die Welt) Ein interessanter Beitrag aus „DER SPIEGEL“ plus den ich den ich, nicht nur seit meinen Reisen in den letzten drei Jahren, bestätigten kann!


Die Nachbarin grüßt im Vorbeigehen, die Barista hat Zeit für einen Plausch, und der Kioskbesitzer kennt einen mit Namen: Kleine Begegnungen haben einen großen Einfluss auf unser Wohlbefinden.


Mitten in der Arbeit an diesem Text machte die Nachricht von Herrn B.s Tod die Runde bei uns. Herr B. war recht bekannt in unserem Viertel, denn er hatte einen Kiosk betrieben. Und weil es in unmittelbarer Nachbarschaft des Kiosks zwar eine U-Bahn-Haltestelle gab, aber keine Postfiliale, keinen Getränkeladen, keinen Supermarkt und keine Bäckerei, schenkte Herr B. Kaffee an Pendler aus und versorgte Familienväter mit Croissants für das Wochenendfrühstück und die Schülerinnen und Schüler des nahen Gymnasiums mit Kaugummi und Eistee. Herr B. nahm Pakete entgegen und verkaufte Rubbellose und Käsestangen und hängte Wohnungsgesuche in sein Schaufenster. Wenn man eintrat, grüßte er freundlich. Wenn man ging, wünschte er eine schöne Zeit. Das war es eigentlich schon. Und als Herr B. starb, da dachte ich ganz kurz, dass es eigentlich komisch sei, so furchtbar traurig über den Tod von jemandem zu sein, den man im Grunde kaum kannte.

Oder vielleicht auch nicht?

Es ist längst eine wohlbekannte Tatsache, dass das Gefühl von Einsamkeit und Isolation so unglücklich machen kann wie kaum etwas anderes. Und dass unsere sozialen Beziehungen deshalb maßgeblich darüber entscheiden, wie glücklich wir mit unserem Leben sind. Aber wenn es darum geht, wie wir unsere sozialen Beziehungen gestalten und pflegen können, dann geht es sehr oft um enge Freunde und Freundinnen oder um unsere Partner. Es geht um unsere Eltern oder Kinder oder um unsere Geschwister. Manchmal geht es um Kollegen oder unsere Chefin.

Seltener aber geht es um die Herren B. dieser Welt. Und vielleicht ist das ein Fehler. Zumindest aber ist es eine Ungerechtigkeit. Weil all die Herren B. in unserem Leben wichtiger für uns sind, als wir vermutlich ahnen.

Die Psychologin Karen Fingerman, die zusammen mit Melinda Blau ein Buch über Bekanntschaften verfasst hat, hat darin an einer Stelle das Bild vom Lebensweg als Straße benutzt. Auf unserer Lebensreise sind uns vor allem die Menschen bewusst, die wir ständig vor Augen haben. Die auf dieser metaphorischen Straße neben uns auf dem Beifahrersitz sitzen oder von der Rückbank quengeln.

Doch blickt man von oben aus einem Hubschrauber heraus auf die Straße herab, kann man erst erkennen, wie viel mehr Menschen Teil der Reise sind, wenn vielleicht auch nur ein kleiner. Man sieht dann auch die Menschen, die wir längst hinter uns gelassen haben. Genau wie jene, die auf einem Stück des Weges in die gleiche Richtung unterwegs sind.

Man sieht die, die wir unterwegs nach dem Weg gefragt haben, die uns bei Pannen geholfen haben, die uns die Vorfahrt genommen haben.

In Fingermans Bild ergeben all diese Menschen zusammen unseren sozialen Konvoi, wie es bei ihr heißt. Und Fingerman argumentiert, dass nicht nur die Anlagen und die Herkunft eines Menschen darüber entscheiden, wie sein Leben verläuft, sondern – maßgeblich – auch sein sozialer Konvoi.

Einer, der schon früh erforscht hat, auf welche Arten dies genau geschieht, war der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Mark Granovetter. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das inzwischen her. Granovetter, heute Anfang achtzig, untersuchte damals unter anderem, wie Arbeitnehmer zu ihren Stellen gekommen waren. Er wollte wissen, von wem sie entscheidende Hinweise oder Empfehlungen erhalten hatten, wer ihnen bei der Suche geholfen hatte.

Dabei kam Granovetter zu dem Ergebnis, dass die engsten Beziehungen seinen Befragten bei der Stellensuche gar nicht so viel genutzt hatten. Selten waren die entscheidenden Hinweise von engen Freunden oder Familienangehörigen gekommen.

Eine viel größere Rolle hatten die Beziehungen gespielt, die der Soziologe Granovetter als sogenannte »weak ties« klassifizierte: als schwache Bindungen. Das könnten beispielsweise ehemalige Kommilitonen sein, die Freundin eines Freundes, jemand aus der Nachbarschaft. Flüchtige Bekannte also. Menschen wie Herr B.

Menschen wie Herr B. öffnen Türen
Granovetters Studie zu der Bedeutung von weak ties – oder flüchtigen Bekannten – für unser Leben ist bis heute eine viel zitierte Studie. Und sie hat zudem Gesellschaft bekommen von anderen Studien, die belegen, dass Granovetters Erkenntnisse nicht nur für den Arbeitsmarkt gelten, sondern für alle Bereiche des Lebens.

Die soziale Durchlässigkeit zum Beispiel. Das ist der Bereich, der Robin Jarrett interessiert. Jarrett hat viel zu schwarzen Familien in den USA geforscht. Vor allem zu denjenigen unter ihnen, die in sozial benachteiligten Vierteln wohnen. Eine ihrer Studien beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage, wie es Müttern in solchen Vierteln gelingt, ihren Kindern bessere Chancen zu verschaffen:

Zugang zu Bildungsangeboten. Der Besuch von besseren Schulen. Eine Befragung ergab, dass die befragten Mütter oft ihre Kontakte aus der Kirche oder aus anderen Lebensbereichen nutzten. Irgendwo gab es immer einen Herrn B., der eine Tür öffnen konnte, die den Kindern sonst womöglich verschlossen geblieben wäre.

Ohne Bekannte wäre unser Leben enger, begrenzter, eintöniger
Flüchtige Bekannte dagegen können oftmals so etwas wie eine Brücke in einen anderen Bereich des Lebens sein. Durch sie kommen wir mit Gedanken und Positionen in Kontakt, die uns sonst nie erreichen würden. Und sie haben auch andere Informationen als wir.

Ohne Bekannte wäre unser Leben enger, begrenzter, eintöniger. Wir würden nie erfahren, dass im Nachbarort zufällig gerade jemand eine solche Stelle ausgeschrieben hat, wie wir sie suchen.

Dass ein Freund unseres Joggingpartners im Sportverein aushilft und unserer Tochter einen Platz in der eigentlich ausgebuchten Ferienfreizeit organisieren kann.

Symbolbild aus dem Internet

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